Schlachtfeld Weihnachten

Weihnachten – das Fest der Liebe und Menschlichkeit. So steht es auf dem Papier, aber offensichtlich sind beide Eigenschaften gegen Jahresende immer häufiger ausverkauft. Bereits am 23.12. starten die ersten Schlachten: Duch den unverhofft bevorstehenden Heiligabend stürmen tausende in die Städte und lassen ihr meist doch halbwegs zivilisiertes Verhalten für ein einfaches Motto hinter sich: Der Stärkere gewinnt. Vorfahrtsregeln geraten in Vergessenheit und die Hand wandert immer häufiger vom Schaltknauf zur Hupe. Wurde dann einer der beliebten und überteuerten Parkplätze in mitten der Innenstadt vor dem älteren Herren, der eigentlich schon geblinkt hatte, okkupiert geht es wie eine Bowlingkugel durch die Fußgängerzone um schnellstmöglich im nächsten Elektronikfachmarkt einzutreffen. Die Menschenmassen werden mit einem gezielten aber dennoch versteckten Tritt von der überdimensionalen Grabbelkiste entfernt, welche Geräte enthält, die mindestens das Doppelte der letztjährigen Ware kosten – Weihnachten wird unterm Baum entschieden! Auch an den Kassen herrscht Fülle – öffnet eine weitere der Abkassiereinrichtungen ähnelt das Verhalten der Wartenden dem eines ausgehungerten Wolfsrudels, welches etwas Fleisch entdeckt hat. Der Stärkere gewinnt.

Natürlich hat nicht Jeder die Zeit sich durch die Kaufhäuser zu quälen – man muss schließlich das Weihnachtsmenü kochen, welches selbstverständlich größer als das letztjährige sein muss – unsere Gesellschaft könnte ohne Wachstum ja nicht überleben. Diese Leute klicken sich in den unzähligen Onlineshops ihre Bausteine für das Zumauern der Krippe zusammen und lassen es sich – gegen Aufpreis – fertig verpackt von einem abgehetzten Postmitarbeiter kurz vor der Bescherung an die Haustür liefern. Danach schnell wieder an den Herd – Größe und Preis des Menüs müssen noch gesteigert werden – Geschmack ist irrelevant.

Am Tag danach geht es traditionell los – in unseren Gefilden heißt das, dass so he das ganze Dorf auf dem Kirnes/Dorfplatz trifft und zu Glühwein gemeinsam Weihnachtslieder singt. In den letzten Jahren kam es gehäuft zu Beschwerden: Da einige, vor allem in den hinteren Reihen, das Treffen offenbar mit einer Talkshow verwechseln, könne man den Chor, welcher zwischendurch etwas komplexere Werke vorträgt, nicht mehr hören. Statt die Zuhörer zu bitten sich etwas dem Chor zu nähren oder Störenfriede um Ruhe zu bitten fährt man nun ein Technikrepertoire auf, welches zwar mangels Windfänger an den Mikrofonen gänzlich ungeeignet ist, aber datür beachtlich aussieht. Ergebnis: In der Zeit vor dem Singen dröhnt irgendwelche laute Musik, welche angeblich Weihnachtlich sein soll und hinder so die Leute am Reden, was sie entsprechend stärker und lauter auf die ruhigen Zeiten der Chordarbietungen verschieben. Diese sind zudem übertönt von Windgeräuschen aus den Boxen, welche es unmöglich machen die Musik auch nur zu erahnen. Die Phasen, in denen man vormals gemeinsam unterm Weihnachtsbaum sang, mutieren zu einem Lautstärkewettstreit, denn gegen die Wechselnden Tonattacken aus Wind und vereinzelten Stimmfetzen des Gesangsvereins ist nur schwer anzukommen – Weihnachten wird unterm Baum entschieden!

Nun geht es an einen Ort, welcher 364 Tage im Jahr weiträumig gemieden wird: Tausende quetschen sich in die letzte verbleibende Kirche der Gegend – die Stellflächen am Gotteshaus sind bereits Stunden vor beginn überfüllt, die Parkverbotsschilder zugeparkt, nahegelegene Straßenkreuzungen werden als Parkplatz umfunktioniert. Wer dennoch keinen Platz bekommt und ein geländegängiges Fahrzeug besitzt parkt auf den Eingangsstufen der Kirche – wenn man den Bauch einzieht kommt man ja noch rein. Drin ein ähnliches Bild: In den Bänken herrscht dichtes Gedränge. Eine ältere, gebrechliche Dame, welche einen freien Sitzplatz entdeckt hat, erdreistet sich zwischendurch um die Ruhestätte zu bitten – „Nein, da können sie sich nicht setzen, da sitzt mein Mann“ tönt die junge Frau und gestikuliert wild ihren offensichtlich fitnessstudioverwöhnten Lebensabschnittsgefährten herbei. Die Rentnerin begnügt sich mit einem Stehplatz unter dem Weihnachtsbaum am Ende der Kirche.

Nach dem Verkehrschaos folgt das Essen, bei dem die Familie bis zum platzen gefüllt wird – Wiederstand ist zwecklos. Wer selbst nicht fertig wurde begibt sich in eins der nahegelegenen Restaurants, deren Köche am Ende des Weihnachtsfest vermutlich wissen was Arbeiten an Weihnachten bedeutet. Es folgt die Bescherung, in welcher unbedarfte Familienmitglieder erbarmungslos mit den vorab erkämpften möglichst teuren und großen – dabei aber völlig nutzlosen – Geschenken bombardiert werden. Hier hilft nur eins: Mundwinkel festhalten und freundlich Nicken, auch wenn es wieder einmal die viel zu großen und farblich – uhm – inspirativen Socken sind, welche sich bestenfalls als Lappen zum Abwasch eignen. Am Ende das Tages ist die gute Stube übersät mit Fetzen aus glänzendem Geschenkpapier, in der Ecke ragt gerade so die Spitze des Kunstweihnachtsbaums heraus – einige Lagen tiefer liegt vermutlich die Krippe versteckt – Weihnachten wird unterm Baum entschieden?

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